Nervennahrung 11. Dezember 2016 – Kategorien: Karins Blog

Schauplatz Supermarkt. Ich stehe an der Kasse und lege Chips und eine Flasche Wein aufs Laufband. Die Kundin vor mir mustert mich mit herablassendem Blick, während sie ihre Tasche mit dem ganzen gesunden Bio-Gemüse füllt. Im ersten Moment bin ich tatsächlich nahe dran, mich für mein Verhalten zu erklären. Gar zu entschuldigen. Ich mag gesundes Gemüse sehr. Stehe voll und ganz auf Bioprodukte. Aber zu manchen Zeiten geben mir Wein und Chips das wunderbare Gefühl, meine Seele zu heilen.

Täglich begegne ich Mütter und Väter, die zufrieden lächelnd mit ihren Kindern durch die Strassen spazieren. Ab und zu ist vielleicht ein weinendes Kind zu hören. Aber das bisschen Weinen sollte doch auszuhalten sein, könnte man denken. Von aussen betrachtet sieht doch immer alles so schön aus. Und das ist es ja auch oft: Schön. Doch was vorher war und nachher folgt, das bleibt dem Zuschauer verborgen. Beispiel Sonntagsbesuch bei Verwandten: Früher konnte ich gemütlich aufstehen, liess unter der Dusche wohlig seufzend das warme Wasser über meinen Körper rieseln, nippte genüsslich an meiner morgendlichen, lebensrettenden Kaffeetasse und war verzaubert von schönen Liebesworten meines Mannes, die er auf einem Post-it an den Spiegel geheftet hatte. Und dann, erst dann war ich bereit für den Tag. Heute stehe ich auf und renne kreuz und quer durch die Wohnung. An was da alles zu denken ist, will ich hier nicht aufzählen. Das hätte die Vorstellungskraft in meiner Welt noch ohne Kinder beim allerbesten Willen gesprengt. Mutter will schliesslich vorbereitet sein. Auf jede Situation! Und es ist halt einfach schon so: Lasse ich die Gummistiefel der Kleinen daheim, genau dann stehen wir mit Sicherheit im Regen!

Irgendwann sitzen wir alle vier im Auto und ich denke an meinen Kaffee, den ich irgendwo stehen gelassen habe und betrachte im Rückspiegel laut seufzend meine Augenlider, die vergangene Nacht noch ein paar Millimeter weiter nach unten geschlüpft sein müssen. Dann kommen wir endlich dort an, wo wir eingeladen sind. Mit dem Bild entspannter Eltern (froh darüber, dass wir mehr oder weniger pünktlich angekommen sind, den Morgen irgendwie überstanden und kaum etwas vergessen haben) und mit lieben, sauberen, zufriedenen Kindern, von denen alle rundherum so entzückt sind. Harmonie pur. Lächeln. Zufriedenheit. Stolz. Alles ist schön! Bis zu dem Moment, nach dem Abschied, wenn wir wieder im Auto sitzen und der Motor angeht. Hinter geschlossenen Türen. Dann sind sie müde und ganz pur, unsere kleinen Schützlinge. Und wir können nur hoffen, dass wir sie zu Hause gleich schlafend vom Auto ins Bett kriegen (Pyjamas und Zahnbürsten hatten wir natürlich eingepackt!), um die übermüdeten Kinder nachher nicht noch bis Mitternacht in den Schlaf zu wiegen.

Ganz ehrlich: In richtig, aber so richtig emotionalen Momenten frage ich mich ja schon, weshalb mich all die Mütter nicht vorgewarnt haben. Aber ja. Schuld abschieben und Verantwortung abgeben hat noch keinem genützt. Eigenverantwortung heisst das Zauberwort. Ich habe verstanden. Und wer die mütterliche Verantwortung übernimmt, hat den stillschweigenden Vertrag unterzeichnet, auf viel Schlaf, Erholung, warme Mahlzeiten, Zeit für sich selbst, Feierabend und die zuvor gelebte Beziehung zum Mann für eine ganze Weile zu verzichten. „Frau“ muss offen sein für ein vollkommen neues Leben, das für die kommenden Jahre auf den Kopf gestellt wird. In einer komplett neuen Rolle, die über allen anderen steht. Eine Rolle, in der ich mit meinen Kindern tanze, lache, turne, male und singe und die zufrieden lächelnden Kindergesichtchen andauernd streicheln und liebkosen möchte. Aber auch mit manchen Momenten, in denen ich einfach nur schreien könnte und mich frage: „Wie komme ich da wieder raus?“.

Acht Uhr abends. Die Kinder schlafen. Vor mir liegt eine weitere Nacht, in der ich mit allem rechnen muss. Nur nicht mit genügend Schlaf. Da liegen sie in ihren Bettchen, meine beiden Engel in bunten Pyjamas. Mit seligem Gesichtsausdruck, zerzaustem Haar und leisem, süssem Schnarchen. Die Liebe zwischen Mutter und Kind ist eine unbeschreibliche und mit nichts zu vergleichende Kraft. Das Mutterdasein ein Abenteuer, das keine Reise mitten in den Dschungel oder auf den Kilimanjaro benötigt. Dafür aber immer wieder einen Abend für sich alleine. Mit Nervennahrung. Und wenn nötig auch mit Chips und Wein. Jawohl!