Das Tüpfchen auf dem „i“ 5. Juli 2017 – Kategorien: Karins Blog

„Meine Tochter hat die Trotzphase nun hinter sich“, behauptete ich kürzlich bei einer Freundin. Und wen sehe ich seit genau diesem Moment wieder täglich am Boden liegen und schreien? Meine Tochter. Jawohl. Ich musste mich grad wieder daran gewöhnen. Woran? Ans Aushalten. Denn darum geht es in diesen Momenten. Nerven behalten. Ruhe bewahren. Gelassen bleiben. Klingt unwahrscheinlich logisch und einfach, nicht wahr? Ist es aber nicht. Auf jeden Fall nicht immer. Ich frage mich, weshalb bei der Geburt nicht gleich Drahtseilnerven mitgeliefert werden. Hey, auch ich bin nur ein Mensch. Und wie soll ich bei all den Trotz- und Jammerphasen, kombiniert mit regelmässigem Schlafmangel und wenig Verschnaufpausen, immer ruhig und gelassen und bei Laune bleiben?

Interessant ist aber schon, wie mich meine Kinder von einer Sekunde auf die andere wieder zum Schmunzeln und Lachen bringen können. Vor einigen Tagen beispielsweise fuhren wir mit dem Auto in die Stadt. Eingangs Welschdörfli befindet sich ein riesengrosses Werbeplakat eines Cabarets an der Wand eines Hauses. Mit einer grossen, blonden, halbnackten Frau darauf. „Oh Mammi, das bist ja du!“, meinte meine Tochter in vollem Ernst. Also das sind ja schon unbezahlbare Momente. Wie auch diese, wenn die Kleinen ganz spontan die Ärmchen um einen legen und knuddeln und kuscheln. Oder wenn sie laut und von Herzen lachen. Da geht einem das Mutterherz so richtig auf.

Nach strengen oder etwas schlechteren Zeiten folgen die besseren. Auf diesen Zyklus kann ich mich verlassen und das gibt mir Halt und Vertrauen. Und siehe da: Nach einem intensiven Morgen wurde mir kürzlich nach dem Kochen, Kinderfüttern, Abwaschen und Aufräumen tatsächlich eine Stunde geschenkt. Meine Kinder machten nämlich gleichzeitig einen Mittagsschlaf, was wirklich noch nicht sehr oft geschehen war. EINE STUNDE! GANZ ALLEINE NUR FÜR MICH. Mein Herz hüpfte vor Freude und ich tanzte durch mein Daheim. Ganz leise und auf Zehenspitzen natürlich. Tausend Ideen hatte ich, was ich mit dieser geschenkten Zeit alles anfangen könnte. Und ja, ich habe mich bewusst davon abgehalten, mich meinem Staubsauger oder dem Putzmittel zu widmen und es mir mit Buch, Kaffee und Schokolade auf dem Sofa bequem gemacht. Zufrieden. Voller Vorfreude. Diese Ruhe. Diese Freiheit. Und dann? Dann bin ich eingeschlafen. Und erwacht, als meine Kids wieder nach mir gerufen haben. Nun ja. Die Zeit fürs „Nach-Schlafen“ zu nutzen, hat auch etwas Gutes. Sicherlich. Aber ich war tatsächlich etwas verärgert darüber. Hätte ich doch die Wäsche aus dem Keller geholt oder den Müll rausgebracht. Dann wäre dies nun schon mal erledigt.

Irgendetwas bleibt oft auf der Strecke. Wenn nicht der Haushalt, dann die Erholung, die eigenen Bedürfnisse oder die Beziehungspflege. Beziehung. Genau. Waren Mammi und Papi nicht mal so ein „richtiges“ Liebespaar? Viele Mütter und Väter haben mich während der Schwangerschaft bereits darauf hingewiesen, diesem Liebespaar weiterhin Raum und Zeit zu geben. Das hat mir vollkommen eingeleuchtet und ich dachte: „Das kann doch nicht so schwierig sein.“ Einmal mehr komme ich zur Erkenntnis, dass „sich etwas vornehmen“ nicht halb so schwierig ist wie die entsprechende Umsetzung. Sowie auch in diesem Fall. Oft geht das Paar „aufGETEILT“ durch den Alltag. Der eine wickelt die Kinder, der andere bereitet das Abendessen zu. Der eine wiegt das Baby in den Schlaf, der andere erzählt dem Grösseren eine Gutenachtgeschichte. Kommt derjenige von uns, der auswärts arbeitet, abends nach Hause, bedeutet dies also in erster Linie: Zwei helfende Hände. Den Raum für Umarmen, Knuddeln und Nähe schnappen sich die Kinder. Und ein Gespräch unter Erwachsenen im Beisein der Kinder ist etwa so gut umsetzbar wie ein Telefongespräch an einer gut befahrenen Autobahn. Von der Option Morgensex wollen wir erst gar nicht sprechen, wo die Kinder schon vor dem Weckerklingeln rufen. Und dass einem die Augen selber ebenfalls zufallen, sobald die Kinder dann schlafen, ergibt auch nicht wirklich partnerschaftliche Nähe.

Kinder sind nicht das Tüpfchen auf dem „i“ einer Beziehung, so wie ich es mir zuvor in meinen schönsten Träumen ausgemalt habe. Heute im realen Alltag als Mutter von zwei Kleinkindern würde ich eher unsere Beziehung als „Tüpfchen“ bezeichnen. Ja, ein kleines Tüpfchen, das viel Liebe, Geduld und bewusste Pflege braucht, damit es nicht komplett verschwindet. Sich für gemeinsame Kinder zu entscheiden, stellt ein Paar vor eine unendlich grosse Aufgabe. Und das, obwohl doch so viele gute und klare Vorsätze getroffen wurden. Wie schön und harmonisch haben wir uns das Ehe- und Familienleben vorgestellt, als wir gemeinsam über meinen Babybauch streichelten und uns ins Land des Mutter- oder Vaterdaseins träumten. Und dann kam die Realität. Die Erkenntnis, dass so ziemlich alles anders ist als erwartet. Der Alltag steht regelmässig auf dem Kopf und Mann und Frau und Beziehung müssen sich der Situation immer wieder neu anpassen, sich neu ordnen, neu finden. Was voraussetzt, offen und spontan zu bleiben, sich auf ganz viel Neues einzulassen und Themen anzugehen, die bisher umgangen werden konnten. Das Elterndasein ist ein Lernprozess mit täglich neuen Erkenntnissen. Wie zum Beispiel, dass das Wunderschönste gleichzeitig auch das Schwierigste sein kann. Dass Schmerz und Glück unfassbar nahe beieinander sind. Ärger und freudvolles Lachen ebenso. Dass jeder neue Moment etwas ganz Unerwartetes beinhalten kann, nichts wirklich planbar ist und wir auf alles gefasst sein müssen. Auf alles. Sogar darauf, vom eigenen Kind mit einer Cabaret-Tänzerin eines Werbeplakates verglichen zu werden. Und eben: Das Leben ist eine Folge von Zyklen. Auf warme Zeiten folgen kalte. Auf Traurigkeit folgt Freude. Auf Ruhe die Turbulenz. Und das – genau das ist das Leben. Das unfassbare Leben, das nicht auf perfekte Weise dafür aber mit ganz viel Liebe gelebt werden will.